»Ich plädiere für die Schaffung einer multipolaren Weltordnung«

Chantal Mouffe. Über das Politische – Wider die kosmopolitische Illusion. 2005. Frankfurt/M.: Suhrkamp. 170 Seiten. ISBN 979-3-518-12483-3. 9,00 Euro.

»Ich plädiere für die Schaffung einer multipolaren Weltordnung«

»Wenn wir das demokratische Leben als Dialog betrachten,
laufen wir Gefahr zu vergessen,
daß seine primäre Wirklichkeit die des Kampfes bleibt.« (Perry Anderson)

Chantal Mouffe hat mit Über das Politische eine angenehm geschriebene, klar gegliederte und kämpferische Einleitung in ihre politische Philosophie vorgelegt, die gerade für LeserInnen, die nicht mit dem Denken der Radikaldemokratie vertraut sind, empfehlenswert ist. Das Buch baut keine unnötigen Theoriehürden auf und lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Mouffe rechnet ein weiteres Mal mit den »Denkern« des dritten Weges (Beck, Giddens) ab, kritisiert den Universalismus von Habermas und entlarvt die Pseudoradikalität von Negri und Hardt und führt gegen die kosmopolitischen Ideen eine multipolare Weltordnung ins Feld. Mouffe setzt sich »in diesem Buch kritisch mit einer Ansicht auseinander[.], die in der Mehrheit der westlichen Gesellschaften ‚common sense‛ ist: Mit der Vorstellung, daß unser gegenwärtiges Stadium der ökonomisch-politischen Entwicklung einen großen Fortschritt in der Entwicklung der Menschheit darstellt, dessen Möglichkeiten wir feiern sollten. Die Soziologen behaupten, wir seien in eine ‚zweite Moderne‛ eingetreten, in der sich die Individuen, befreit von kollektiven Bindungen und unbehindert durch antiquierte Anhänglichkeiten, der Kultivierung mannigfaltiger Lebensweisen widmen könnten. Daß die ‚freie Welt‛ über den Kommunismus triumphiert habe und mit der Schwächung kollektiver Identitäten jetzt eine Welt ‚ohne Feinde‛ möglich sei. Daß Konflikte zwischen Interessenverbänden der Vergangenheit angehörten und Konsens durch Dialog erzielt werden könne. Daß wir dank der Globalisierung und der Universalisierung der liberalen Demokratie eine kosmopolitische Zukunft vor uns hätten, die Frieden, Wohlstand und die weltweite Achtung der Menschenrechte bringen werde.« (7)

Mouffe möchte den Nachweis erbringen, dass der »postpolitische Zeitgeist«, der auf Konsens abhebt[1], nicht zu mehr, sondern vielmehr zu weniger Demokratie führt. »Begriffe wie ‚parteilose Demokratie‛, ‚good governance‛, ‚globale Zivilgesellschaft‛, ‚kosmopolitische Souveränität‛, ‚absolute Demokratie‛ [...] sind ausnahmslos Bestandteile einer antipolitischen Vision, die sich weigert, die für das ‚Politische‛ konstitutive antagonistische Dimension anzuerkennen.« (8) Das postpolitische Verlangen nach einer Welt jenseits von links und rechts, jenseits von Hegemonie etc. verleugne, so Mouffe, die antagonistische Struktur der Gesellschaft und führt entgegen der eigenen Intention zu einer Verschärfung der Antagonismen. Das Gerede von »Dialog« und »Deliberation« sei inhaltsleer, da es keine genuinen Wahlalternativen gäbe, keine wirklich unterschiedlichen Positionen artikuliert würden. Mouffe tritt dem gegenüber für die »Schaffung einer lebendigen ‚antagonistischen‛ Sphäre des öffentlichen Wettstreits« ein, »in der verschiedene hegemoniale politische Projekte miteinander konfrontiert werden könnten« (10).

Ihr Gewährsmann für dieses Projekt, auch und gerade für die Kritik der liberalen Demokratie, ist Carl Schmitt. Mouffe ist sich klar darüber, dass ein wie auch immer gearteter positiver Bezug auf das Denken Carl Schmitts polarisieren muss. Die Liberalismusanalyse des konservativen Schmitt, einem Apologeten des Nationalsozialismus, decke aber die Schwächen des liberalen Denkens auf, wie es kaum einer anderen sonst gelungen sei. Für Mouffe ist die »moralisch begründete Weigerung vieler demokratischer Theoretiker, sich mit Schmitts Denken auseinander zu setzen, [...] typisch für die moralistische Tendenz, die für unseren postpolitischen Zeitgeist charakteristisch ist« (10). Immer mehr politische Themen würden anstatt im Register des Politischen im Register der Moral abgehandelt. Es habe ein Wechsel vom politischen rechts / links hin zum moralischen richtig / falsch stattgefunden.

Was bedeutet es, das Politische (die Art und Weise wie die Gesellschaft eingerichtet ist in Absetzung zur Politik: den Praktiken der Politik in actu) als antagonistisch zu denken? Der größte Teil der liberalistischen Theorien ist Mouffe zu Folge rationalistisch und individualistisch verfasst und erkennt keine kollektiven Identitäten an. Kriterium für das Politische ist bei Schmitt bekanntlich die Unterscheidung Freund / Feind, die Trennung zwischen »Wir« und »Sie«, also die Bildung von Gruppenidentitäten. Der vom Liberalismus geforderte Rationalismus verdeckt dagegen nun gerade den Ausschluss, die Entscheidung, die jedem vermeintlichen Konsens zu Grunde liegt. Der Rationalismus ist blind für das Politische, da er »die Irreduziblität des Antagonismus negieren« muss, »der das unumgängliche Moment der Entscheidung zutage bringt« (19). Diese Blindheit ist konstitutiv für das liberale Denken: die zu Grunde liegende Ausschlussgeste wird invisibilisiert. Aufgabe der Demokratie ist es aber nicht, die Wir/Sie-Unterscheidung zu überwinden (bzw. sie zu verdecken), sondern sie auf eine pluralistische Art und Weise zu etablieren, öffentlich zu machen. Hier trennen sich die Wege von Schmitt und Mouffe, da dieser den Pluralismus aus seinem Demokratiemodell ausgeschlossen hat. Mouffe überführt den Antagonismus (Freund / Feind) in einen Agonismus (Gegner), der sich aber immer der Gefahr ausgesetzt sieht, wieder in einen Antagonismus umzuschlagen und dies auch weiß. Die Gesellschaft wird von hegemonialen, durch Identifikation erzeugten »Wir / Sie« Trennungen konstituiert, wobei der Aufbau der Trennung Wir / Sie das Wir und das Sie allererst erzeugt: Die hierdurch entstehende Dichotomie ist also nicht naturalistisch zu verstehen. Da die Dichotomie ein Konstrukt ist, besteht die Möglichkeit, etablierte hegemoniale Strukturen aufzubrechen und durch eine abweichende, (dabei aber nicht minder hegemoniale) Struktur zu ersetzen.

Die Umwandlung eines Antagonismus (Feinde) in einen Agonismus (Gegner) wird von Mouffe nicht als Eliminierung des Antagonismus verstanden, sondern als Sublimierung. Mouffe geht es um die Frage: Wie kann man das Politische (wieder) in die Demokratie einschreiben? Eine einzige Prämisse stellt sie nicht nur Diskussion: Wir alle wollen die Demokratie. Sobald die uns gegebenen demokratischen Institutionen verfallen, schlägt der Agonismus direkt in den Antagonismus um; aus Gegnern werden Feinde.

Demokratie baut laut Mouffe auf Polarisierung und auf kollektive Identifikation. Mit kollektiver Identifikation meint Mouffe beispielsweise eine Aussage der Form: „Ich bin ein Linker“. Gibt man die Begriffe rechts / links einfach auf, so folgt daraus eine Essentialisierung des Konflikts, bzw. ein Aufeinanderprallen nicht verhandelbarer Werte (vgl. 42). »Der genaue Inhalt von ‚links‛ und ‚rechts‛ wird schwanken, doch sollte die Trennlinie bleiben: Verschwindet sie, würden gesellschaftliche Spannungen verleugnet – ein Hinweis, daß ein Ensemble von Stimmen zum Schweigen gebracht worden wäre.« (157)

In den folgenden Teilen des Buches konkretisiert Mouffe ihre Kritik in einer Auseinandersetzung mit den Denkern der so genannten Reflexiven Moderne. Sie wendet sich einem der bekanntesten „trojanischen Pferde des Neoliberalismus“ (Bourdieu) zu: Ulrich Beck. Beck diagnostiziert einen Rückgang des Vertrauens in traditionelle politische Institutionen; Parteien und Gewerkschaften sind nicht mehr in der Lage, mit den aktuellen Geschehnissen sinnvoll umzugehen. Die Veränderungen in der Gesellschaft basieren nicht mehr auf politischen Entscheidungen, sondern auf den Nebeneffekten des Kapitalismus. Es macht für Beck daher heute keinen Sinn mehr, von Klassen, Geschlechterrollen, familiären Beziehungen zu reden; es geht darüber hinaus nicht mehr um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, sondern um Fragen der Risikoverteilung. Die 2. Moderne stellt nicht auf die Gruppe, sondern auf dass Individuum ab, die Unterscheidung rechts / links wird abgelöst von den Unterscheidungen sicher / unsicher, innen / außen, politisch / unpolitisch. Das Politische taucht an neuen Orten auf. Mouffe teilt über weite Strecken die Diagnose ihres Kontrahenten, zieht aber völlig andere Schlüsse. Während Beck und Giddens die beste aller möglichen Welten im Neoliberalismus verwirklicht sehen, das Problem also bereits als Lösung feiern, kritisiert Mouffe gerade die Verschiebung auf das Individuum und die Schwächung bestehender Institutionen aufs Schärfste. Die Theoretiker des dritten Weges seien allesamt blind für die Effekte der Macht und hielten an überholten Vorstellungen von rationaler Individualität fest. Gerade ihre Versuche, alles politische Handeln auf rationale Verhandlungen zurückzuführen, basierten auf einer grundlegenden antagonistischen Exklusion, die nun aber nicht mehr als politische, sondern als soziologische, nicht verhandelbare Tatsache wahrgenommen werde: Sie trennen zwischen dem »‛Wir‛ der ‚modernen Menschen‛, d.h. derer, die Teil der Bewegung der reflexiven Modernisierung sind« und dem Sie »der Traditionalisten oder Fundamentalisten, die sich dieser Bewegung entgegenstellen und am faktisch durch ihre Ausschließung konstituierten dialogischen Prozeß nicht teilhaben können.« (73f.) Beck & Co folgen also blind dem schmitt’schen Modell gerade dort, wo sie es überwunden zu haben meinen.

Ähnlich funktioniert für Mouffe die zunehmende Moralisierung der Politik; das Verschieben des Politischen aus dem Register der Politik in das der Moral. Wenn ein amerikanischer Präsident sich einer religiös inspirierten Rhetorik bedient und beispielsweise von einer Achse des Bösen spricht, dann erfolgt genau hier die schmitt’sche Trennung. Wenn es nach dem Wahlerfolg der FPÖ in Österreich zur Einrichtung eines »cordon sanitaire« kommt, dann wird auch hier die Behandlung des Problems aus dem Bereich Politik in den der Moral verdrängt.

Die Hoffnungen auf eine kosmopolitische Welt, auf eine Welt unter einer gemeinsamen Regierung, hält Mouffe für den Tod der Politik. Das Politische funktioniert wie eine traumatische Erfahrung: Verdrängt man sie, sucht sie sich einen anderen Schauplatz. Kosmopolitik bedeutet amerikanische Hegemonie, gegen die Mouffe eine multipolare Weltordnung unterschiedlicher Machblöcke ins Feld führt: »Wenn Europa eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer neuen Weltordnung spielen kann, dann nicht durch das Werben für ein kosmopolitisches Recht, dem sich die ganze ‚vernünftige‛ Menschheit unterwerfen sollte, sondern durch einen Beitrag zur Herstellung eines Gleichgewichts zwischen regionalen Polen, deren besondere Anliegen und Traditionen als wertvoll und deren Ansprüche auf einheimische Demokratiemodelle als berechtigt anerkannt werden.« (169). Eine multipolare Weltordnung würde es ermöglichen, den Antagonismus in einen Agonismus zu wandeln, anstatt Nationen, die sich nicht der westlichen Hegemonie einfügen wollen, zu Feinden zu machen. Mit dem politischen Gegner kann ich reden, den Feind kann ich lediglich vernichten.

Es lässt sich jedoch mit Slavoj Zizek die Frage stellen, ob Mouffes Umwandlung bzw. Sublimierung des grundlegenden gesellschaftlichen Antagonismus (also der Tatsache, dass Gesellschaften nicht existieren, d.h. ein in sich gebrochenes, grundsätzlich mit sich selbst im Widerspruch stehendes, Gefüge sind) in Agonismen, nicht ebenfalls letztendlich auf eine Entpolitisierung herausläuft. Mouffes Demokratiebegriff bleibt auf eine – demokratisch nicht legitimierbare – Unterscheidung angewiesen, die zwischen Demokraten und Nichtdemokraten. Die Gründungsgeste einer jeden Demokratie ist nicht demokratisch, sie setzt sich selbst rückwirkend ins Recht. Auf diesen – ihr wohlbekannten – ademokratischen Gründungsakt geht Mouffe in ihrem Buch nicht ein.

(Reinhard Heil, Darmstadt)

Erstmals veröffentlicht im Journal Phänomenologie 28/2007, p. 85-89.


[1] Vgl. zur Debatte Konflikt oder Konsens Andreas Niederberger , »Integration und Legitimation durch Konflikt? Demokratietheorie und ihre Grundlegung im Spannungsfeld von Dissens und Konsens«, in: Reinhard Heil/Andreas Hetzel (Hg.), Die unendliche Aufgabe. Kritik und Perspektiven der Demokratietheorie, Bielefeld: transcript 2006, S. 267–280.2006.


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