Oliver Marchart, Post-Foundational Political Thought: Political Difference in Nancy, Lefort, Badiou and Laclau

Oliver Marchart, Post-Foundational Political Thought: Political Difference in Nancy, Lefort, Badiou and Laclau, Edinburgh 2007: Edinburgh University Press, ISBN 978-0-748624980

Die Frage nach dem Politischen lässt Teilen der politischen Theorie und der politischen Philosophie seit Jahren keine Ruhe. Was kann heute – im Zeitalter der Postideologie, der Postpolitik, des Postkommunismus etc. – noch als politisch gelten? Haben die Konzepte des Politischen und der Politik nicht schon lange ausgespielt? Gibt es überhaupt noch Möglichkeiten, im Bereich des Politischen zu gründen? Ist nicht allein die Frage nach möglichen Begründungsstrategien heute obsolet? Fragen, die nicht auf den Bereich des Politischen begrenzt sind, sondern sich beispielsweise auch in der Ethik aufdrängen.

Die Trennung zwischen der Politik und dem Politischen wurde 1932 von Carl Schmitt in seinem Aufsatz „Der Begriff des Politischen“ eingeführt. Entscheidend ist in Bezug auf das Politische für Schmitt, dass es keinen eigenen Bereich bildet, sondern dass alle Bereiche der Gesellschaft Orte des Politischen werden können, insofern sich dort eine Freund/Feind Konstellation bilden kann, in der Menschen bereit sind, wenn es sein muss, bis zum Tode für eine Sache zu kämpfen bzw. Krieg zu führen. Religion kann politisch sein, muss es aber nicht, die Ökonomie kann zu einem Ort des Politischen werden, muss es aber nicht. Das Politische selbst besitzt keine eigene Domäne. Die Möglichkeit, nicht die Notwendigkeit des Krieges ist für Schmitt das entscheidende politische Moment. Das, was man heute im Allgemeinen als Politik bezeichnet: das liberale Aushandeln von Positionen in einem als an sich gerecht konzipierten demokratischen Framing, wird von Schmitt als sekundärer Begriff des Politischen bezeichnet, oder, ähnlich wie dies Jacques Rancière tut, als Polizei, als bloße Aufrechterhaltung der Ordnung. Hierunter fallen Religionspolitik, Schulpolitik, Kommunalpolitik, Sozialpolitik etc. Hier ist das Politische abgeschwächt, der Feind ist nunmehr Gegner. Das Politische selbst hat seinen Ort im Zwischenstaatlichen, bzw. – im Falle eines Bürgerkrieges – im Zwischen der beteiligten Parteien.

Interessant für linke politische Theoretiker ist die Liberalismuskritik Schmitts, abstoßend wirken sich dagegen die Verwicklungen Schmitts in den Nationalsozialismus aus. Marchart denkt das Politische nicht im Ausgang, sondern eher in Absetzung von Schmitt. Seine Referenzautoren sind Martin Heidegger und Hannah Arendt.

Mit “Post-Foundational Political Thought” legt Oliver Marchart eine systematische Auseinandersetzung mit den von ihm so genannten Links-Heideggerianern vor. Das Buch setzt sich nicht weniger als die Entfaltung einer post-foundamentalen Begründung des Politischen zum Ziel, bzw. die Entwicklung einer politischen Theorie als prima philosophia. Entlang der Begriffe „Post-Foundationalisms“, „Anti-Foundationalism“ und „Quasi-Transzendentalität“ wird eine Begründungsfigur bei gleichzeitiger Ablehnung eines jeden letzten Grundes entwickelt. Wir müssen zwar, so Marchart, die Möglichkeit eines letzten Grundes aufgeben, aber nicht die Möglichkeit des Begründens selbst. Es geht Marchart wie den von ihm besprochenen Autoren Nancy, Lefort, Badiou und Laclau, um eine ontologische Schwächung von Begründung, aber nicht um deren vollständige Aufgabe.

Die Kernbegriffe der linken Heideggerianer lauten Marchart zu Folge Kontingenz (contingency), Ereignis (event), Freiheit (freedom) und Geschichtlichkeit (historicity). Im Zentrum steht die Unterscheidung zwischen der Politik und dem Politischen, die Marchart entlang der ontologischen Differenz Heideggers interpretiert, aber nicht auf diese reduziert. Die Politik beschäftigt sich mit dem Seienden, während das Politische die Bedingung der Möglichkeit von Politik beschreibt, oder genauer: die Bedingung der (Un-)Möglichkeit von Politik.

„As in philosophical thought, where we can only infer the onto-ontological difference from the incompletion of the ontic, in the discourse of political theory we can only infer the politico-political difference (and therefore ‘the political’ as the moment whose full actualization is always postponed and yet always achieved partially) from the impossibility of society, which is the same as the impossibility of providing an ultimate definition of politics.” (6)

Das Politische als solches lässt sich nicht direkt erfassen, es zeigt sich nur indirekt anhand von Störungen. Es ist etwas, das vorausgesetzt werden muss, damit Politik überhaupt möglich ist. Gleichzeitig unterläuft das Politische jeden Versuch, es in einer geschlossenen Ordnung zu fassen, es auf Politik zu reduzieren.

Der Begriff des Politischen weist eine innere Spaltung auf, die sich nicht auf ontische Differenzen, wie dem Unterschied zwischen politics (Politik), policy (Verfahren) oder polity (Gemeinwesen) zurückführen lässt: Es besitzt, wie bei Carl Schmitt, keine eigene Domäne, es schreibt sich immer in andere Bereiche ein, politisiert diese. Dieser Akt der Politisierung instituiert auf der einen Seite die Gesellschaft, gibt ihre einen Grund, auf der anderen Seite entzieht sich dieser Grund im Moment der Institutionalisierung.

“As a result, society will always be in search for an ultimate ground, while the maximum that can be achieved will be a fleeting and contingent grounding by way of politics – a plurality of partial grounds.” (8)

Marchart zu Folge sind sich die von ihm untersuchten Vertreter des Post- Foundationalismus den Folgen, die sich aus einem solchen Begriff des Politischen ergeben nicht immer wirklich bewusst: Dieser Begriff des Politischen lässt es nicht zu, eine bestimmte (ontische) politische Ordnung vor anderen Ordnungen auszuzeichnen.

Zur weiteren Konkretisierung seiner Überlegungen zeigt Marchart drei idealtypische Haltungen zum Problem der Begründung auf: Foundationalism, Anti-Foundationalism und Post-Fondationalism. Der Foundationalism begründet mit Hilfe von Prinzipien, die 1. unbestreitbar sind und die 2. außerhalb der Gesellschaft und der Politik liegen. Das Politische wird von außen begründet. Ein Beispiel hierfür ist der ökonomische Determinismus. Der Anti-Foundationalism ist die einfache Verneinung des Foundationalism (es lässt sich überhaupt nicht gründen), der Marchart zu Folge in reiner Form gar nicht existiert, sondern meist als Strohmann dient, um sich von ihr distanzieren zu können. Der Post-Foundationalism vollzieht nun, wie Marchart es nennt, die quasi-transzendentale Wende. Der Postfoundationalism behauptet nicht die Abwesenheit aller Gründe, sondern nur die Abwesenheit eines letzten Grundes. Er entgeht so der postmodernen Falle des anything-goes, der Gleichberechtigung aller Meta-Narrative.

Dass sich das Politische jedweder Letztbegründung entzieht, lässt sich nicht auf empirische Gründe zurückführen. Die Abwesenheit eines letzten Grundes hat also nichts mit einer Unerkennbarkeit eines solchen zu tun. Nicht unsere epistemologische Beschränktheit verhindert das Auffinden eines letzten Grundes, sondern die prinzipielle Abwesenheit eines solchen macht dies unmöglich. Die Unmöglichkeit, einen letzten Grund ausfindig zu machen, ist eine notwendige Unmöglichkeit. “‘Der Ab-grund ist Ab-grund’ is a chiasm which is supposed to mean: the ground is a-byss, and the a-byss is ground.” (19)

Kontingenz wird hier also nicht in ihrer schwachen Bedeutung (Etwas, was anderes sein könnte / Zufall) gefasst, sondern stärker als notwendige Kontingenz. Diese notwendige Kontingenz ist ein operationaler Begriff, der die Natur der Unmöglichkeit vollständiger Schließung anzeigt. Die Art und Weise aber, wie sich diese notwendige Kontingenz ausdrückt, ist immer an die gegebenen empirischen Bedingungen rückgebunden.

„So there is not the slightest incoherence in the claim that the status of contingency is supra-historical (this is why it is transcendental), while both the experience of contingency and its reflective realization are subject to certain historico-empirical conditions (that is why it is quasi-transcendental […].” (30)

Die Möglichkeit, diese quasi-transzendentale Wende (Marchart) zu erkennen, besitzt empirisch ausweisbare Möglichkeitsbedingungen. Das Geschichtliche ist die immer wechselnde Bedingung für das Erscheinen des Transzendentalen, d.h., dass es heute möglich ist, Kontingenz als notwendige Kontingenz zu beschreiben, ist das nicht notwendige Ergebnis empirischer Bedingungen. Nur in einer bestimmten geschichtlichen Konstellation ist diese Erkenntnis möglich. Damit lautet die Frage für eine geschichtliche Untersuchung des Politischen nicht: „War das Politische bereits früher quasi-transzendental und damit auf eine konstitutive Kontingenz verwiesen?“, sondern „Wie wurde in früheren Perioden mit dieser Kontingenz umgegangen (bspw. in der Form von Paradoxa, Geschick, Freiheit, Antagonismus der Demokratie etc.)?“

Das Politische als Antagonismus, als sich entziehender Grund, wird von den Vertretern des Post-Foundationalism nur dann positiv bewertet, wenn es sich innerhalb einer politischen Einheit abspielt. Für Schmitt war dagegen ein entscheidendes Charakteristikum des Politischen, dass es nur im zwischenstaatlichen Bereich (und im Bürgerkrieg), dort wo souveräne Staaten aufeinandertreffen, seinen Ort findet: der Bereich der Innenpolitik hat im Schmittschen Verständnis mit dem Politischen nichts zu tun. Marchart verabschiedet sich vom Schmittschen Begriff des Politischen, sein Begriff ähnelt dem von Chantal Mouffe: Der Feind wird zum Gegner.

Im Mittelteil des Bandes untersucht Marchart die politischen Theorien von Nancy, Lefort, Badiou und Laclau und kommt zu dem Ergebnis, dass sie zwar alle postfoundationalistisch argumentieren, aber nicht bereit sind, die Folgen dieses Denkens in aller Konsequenz anzunehmen. Die radikale Konsequenz des postfoundationalistischen Denkens besteht laut Marchart darin, dass der Post-Foundationalism eine politische Ontologie ist, der der Rang einer prima philosophia zusteht. Es lässt sich zwar aus dem Post-Foundationalism keine konkrete (oder gar emanzipative) Politik direkt ableiten (non sequitur), aber es lässt sich zumindest eine verbindliche negative Aussage formulieren: alle Gründungsversuche schlagen notwendig fehl.

Im postfoundationalistischen Denken wird das Politische als ein „Außerhalb“ der Philosophie in das Philosophische als politische Ontologie (erste Philosophie) zurückgefaltet. Für Marchart kommt nur das Politische als Supplement des abwesenden Grundes in Frage. Was versteht Marchart unter erster Philosophie? Auf keinen Fall möchte er darunter einen Rückfall in die überkommene Metaphysik verstanden wissen. Im postfoundationalistischen Denken kann die erste Philosophie keine Ontologie im klassischen Sinne sein, in der alle anderen Bereiche ihren Grund finden, sondern sie steht für den Entzug eines jeden letzten Grundes in allen Bereichen. Seiendes ist nicht einfach qua Differenz, sondern qua politischer Differenz.

„The perspective on being-qua­-differencing is supplemented by a perspective on being-qua-the po­litical. The political is constantly retreating due to the ungrounding nature of difference, and yet this retreat is – in a myriad of instances – put to a halt, if always only temporarily, in the moment of grounding.” (166)

Warum hält Marchart an dem metaphysikverdächtigen Begriff Ontologie fest? 1. Ihm geht es, wie er schreibt, nicht um die Begründung eines besonderen Seienden, sondern um den Grund/Abgrund alles Seienden. Die Unmöglichkeit des Gründens erlaubt es nicht, ontologisches Fragen per se zu verwerfen. Der Begriff des Politischen-als-Grund ist unverzichtbar für den Post-Foundationalism (auch wenn das Politische niemals direkt verwirklicht werden kann). 2. Der Begriff Ontologie zeigt an, dass es um die Bedingung der Möglichkeit von Seienden-qua-Sein geht und nicht um eine Epistemologie des Seienden-qua-Wissen. Es geht also nicht um die Bedingungen von Wissen und Verstehen. 3. Soziale Institutionen und soziale Sedimente sind nicht nicht-politisch, sondern Politik im „Schlafmodus“. Das Politische kann plötzlich wieder hervorbrechen. Soziale Objektivitäten, der Bereich des Seienden, sind diskursiv im Sinne von Laclau/Mouffe verfasst. Das Diskursive selbst muss als politisches Konzept verstanden werden. 4. Dass alles politisch ist, bedeutet nicht, dass nichts politisch ist. Nicht alles ist politisch, sondern der Grund/Abgrund von allem ist politisch. Der mit dem Politischen verbundene ständige Wechsel zwischen Instituierung und De-Instituierung verhindert gerade, dass alles restlos im Politischen aufgeht.

Eine reine Ontologie der Differenz (der Differenzialität) bliebe Marchart zu Folge inhaltsleer. Eine Philosophie, die Sein und Differenz als solche fassen möchte, tendiert immer dazu, den Bereich des Seienden, der Geschichte und der Politik zu vernachlässigen. Diese Tendenz zur reinen Ontologie macht Marchart auch im postfoundationalistischen Denken aus, beispielsweise bei Nancy und Badiou, aber auch bei Heidegger und Derrida.

Der Postfoundationalism akzeptiert dagegen, dass die reine Differenz immer über-determiniert wird durch ein Ontisches, das dem reinen Spiel der Differenz widersteht. Jede Ontologie muss in einem Ontischen begründet sein; jede erste Philosophie ist immer zugleich auch eine zweite Philosophie, da die Philosophie aus sich heraus nichts begründen kann. Der Aufstieg einer ‚regionalen’ Ontologie zur allgemeinen Ontologie kann nur auf einer kontingenten Entscheidungen beruhen. Marcharts Entscheidung, die politische Ontologie zur prima philosophia zu machen ist, darauf weist er ausdrücklich hin, keine philosophische Entscheidung, sondern eine politische, eine Intervention von der ontischen Seite der Politik in das depolitisierte Feld der Philosophie.

Ausgegangen ist Marchart von der Annahme einer Analogie von politischer Differenz (Differenz zwischen der Politik und dem Politischen) und ontologischer Differenz (Differenz zwischen Seiendem und Sein). Konzeptualisiert man die politische Differenz aber auf diese Art und Weise, so verbleibt sie, wie es Marchart versteht, selbst im Bereich der Philosophie. Er tritt jedoch dafür ein, den Vorrang des Politischen wirklich ernst zu nehmen und den Vorrang der politischen Ontologie gegenüber der traditionellen Ontologie zu akzeptieren: Nicht die politische Differenz wird jetzt in Analogie zur ontologischen Differenz gefasst, sondern die ontologische Differenz muss im Ausgang von der politischen Differenz verstanden werden. D.h., die Differenz zwischen dem Politischen und der Politik ist selbst politisch. Politisches und Politik sind durch einen unüberbrückbaren Abgrund getrennt und gleichzeitig bleiben sie in einem unendlichen Spiel wechselseitig auf einander verwiesen.

Wo lässt sich nun das Politische in der Gesellschaft auffinden? Im Gegensatz zu beispielsweise  Slavoj Žižek, der, zumindest in einigen seiner Publikationen, das Politische auf den Moment der Revolution eingeschränkt, sieht Marchart das Politische ständig am Werk. Das Politische hat seinen Ort immer dort, wo die Gesellschaft mit ihrem abwesenden Grund und der Notwendigkeit zu gründen konfrontiert wird. Es ist nicht nötig, auf große historische Ereignisse wie Revolutionen zu warten. Wir erleben das Politische in seiner „zerschlagenen“ Form im Bereich des Sozialen. Das Politische – wenn auch nur in geringen Dosen – findet sich für Marchart überall, aber dieses Überall ist ein besonderer Platz, den noch niemand gesehen hat.

Marchart gelingt es in überzeugender Weise, die Ansätze der Links-Heideggerianer systematisch darzustellen. Er macht genau das an ihnen stark, was im Allgemeinen als ihr normativer Mangel aufgefasst wird: Die Unmöglichkeit, von der Theorie des Politischen auf eine bestimmte politische Ordnung zu schließen.

(Reinhard Heil, Darmstadt)

Erstmals veröffentlicht in Journal Phänomenologie 29/2008, p. 64-69.


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