Reinhard Heil / Andreas Hetzel [Text als PDF][1]
Die Demokratie befindet sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer realen und legitimatorischen Krise. Zwei komplementäre Tendenzen bestimmen ihren gegenwärtigen Zustand: die Globalisierung und die Entkernung des Staates. Relevante politische Entscheidungen werden heute, wie das Beispiel der EU lehrt, immer weniger von demokratisch verfassten Institutionen getroffen, als vielmehr von überstaatlichen Bürokratien, Verhandlungsgremien, Expertenrunden und Politiknetzwerken; gleichzeitig tritt der Staat auch intern Entscheidungskompetenzen an andere gesellschaftliche Teilsysteme wie Wirtschaft und Recht ab. Er reduziert seine Aufgabe darauf, die Gesellschaft in einen möglichst attraktiven Standortfaktor für die Ansiedlung von Unternehmen zu verwandeln. Gesellschaft wird zu einer Ressource, deren ökonomische Ausbeutung vom Staat nicht verhindert, sondern befördert wird. Diejenigen Teile der Gesellschaft, die sich nicht ausbeuten lassen, werden aufgegeben, abgespalten, unsichtbar gemacht. In Begriffen gesellschaftlicher Ungleichheit lässt sich diese neue Situation insofern nicht mehr beschreiben, als die Partizipation weiter Teile der Bevölkerung an der Gesellschaft selbst auf dem Spiel steht. Politik und Demokratie werden zu hyperrealen Phänomenen (vgl. Baudrillard 1992), zu massenmedialen Inszenierungen (vgl. Meyer 1992), die über ein reales Ende politischer Praxis hinwegzutäuschen suchen.
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