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Unbedingte Demokratie. Fragen an die Klassiker neuzeitlichen politischen Denkens

Monday, August 16th, 2010

hg. v. Reinhard Heil, Andreas Hetzel und Dirk Hommrich, Nomos-Verlag (Baden-Baden, voraussichtlich 1. Quartal 2011)

Innerhalb der politischen Theorie der Gegenwart zeichnet sich eine Wende ab. Während der Schwerpunkt politischer Theoriebildung lange Zeit auf dem Versuch einer Begründung demokratischer Verfahren in universalen Vernunft- und Rechtsprinzipien und deren normativen Aspekten lag, richtet sich der Fokus heute zunehmend auf die Selbstinstituierung einer Gesellschaft, die auf keine externen Gründe zurückgeführt werden kann. Das Politische gilt dabei als autonome, sich nicht auf bestimmte Institutionen beschränkende Auseinandersetzung um die jeweilige Gestalt einer Gesellschaft, die nicht mehr von einem Punkt aus überblickt und gesteuert zu werden vermag. Diese demokratische Auseinandersetzung, die von einer Vielzahl gesellschaftlicher Akteure getragen wird, sollte aus der Sicht radikaldemokratischer AutorInnen wie Claude Lefort, Ernesto Laclau, Chantal Mouffe, Etienne Balibar oder Jacques Rancière rückhaltlos bejaht und ausgeweitet werden.

Demokratie wird vor diesem Hintergrund als unendliche Aufgabe begriffen, die auf praktischer Ebene als Forderung nach einer Demokratisierung von Bürokratie, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft, nach einer Erweiterung von Partizipationschancen sowie nach einer Politik größtmöglicher Inklusivität relevant wird. Im Mittelpunkt der diesbezüglichen Überlegungen steht der Gedanke, dass Demokratien konflikthaft verfasst sind: Aus der Einsicht, dass demokratische Auseinandersetzungen über die angemessene Einrichtung des Gemeinwesens sich nicht in transzendentalen Rechts- oder Vernunftprinzipien verankern lassen, ergibt sich der Anspruch, dass der Ort der Macht „leer“, im wörtlichen Sinne u-topisch bleiben muss, dass Demokratie stets „im Kommen bleibt“, dass sich die Gesellschaft also niemals eine endgültige, durch einen Rekurs auf universelle Prinzipien verbindlich abgesicherte Gestalt geben kann und sollte. Es ist aus dieser Perspektive gerade eine Leerstelle im Zentrum der Gesellschaft, die diese zusammenhält. Der Sammelband Unbedingte Demokratie. Fragen an die Klassiker neuzeitlichen politischen Denkens, macht es sich zur Aufgabe, die Klassiker der neuzeitlichen politischen Theorie von Machiavelli über Hobbes, Rousseau, Montesquieu, Tocqueville, Kant und Hegel im Lichte radikaldemokratischer Positionen neu zu lesen.

Auch die Politische Ideengeschichte stand lange Zeit unter der Vorherrschaft neukantianischer, am Paradigma der Begründung orientierter Ansätze. Die Klassiker wurden vor allem daraufhin befragt, wie sie das Politische in einem ihm selbst vorausgehenden Vernunft-, Werte- und Wunschhorizont verankern, wie sie insbesondere die Souveränität des Staates legitimieren. Die Beiträge des Bandes stellen demgegenüber die Frage, inwiefern die klassisch-neuzeitlichen Theorien des Politischen bereits Elemente radikaldemokratischen Denkens vorwegnehmen. Umgekehrt soll aber aus der Perspektive der Klassiker auch der Anspruch radikaldemokratischer Ansätze, das politische Denken neu zu erfinden, kritisch befragt werden. Das radikaldemokratische Denken des Politischen eröffnet einen Horizont, der es nicht nur erlaubt, sondern es geradezu nötig macht, jene zentralen Figuren der politischen Ideengeschichte der Neuzeit erneut zu lesen, die uns heute so vertraut sind und kaum mehr erläuterungsbedürftig erscheinen. Konzepte wie volontée générale, sensus communis, Gesellschaftsvertrag, Konflikt, Staat, Demokratie, Revolution, Geschichtszeichen, Gewaltenteilung sollen im Sinne einer „rettenden Kritik“ (Walter Benjamin) neu angeeignet und ebenso gegen die transzendentale Industrie, die die gegenwärtige politische Philosophie beherrscht, verteidigt werden, wie gegen die Legitimations- und Selbstimmunisierungsrhetoriken eines Kapitalparlamentarismus, in dessen Rahmen Demokratie immer mehr zu einer medialen Inszenierung verkommt. Die Klassiker der politischen Theorie sollen daraufhin untersucht werden, ob sie die entscheidenden Elemente radikaldemokratischen Denkens bzw. eines Denkens der politischen Differenz bereits in statu nascendi enthalten, wie es Claude Lefort exemplarisch anhand von Machiavellis politischem Denken gezeigt hat. Die von Machiavelli eröffnete Differenz zwischen dem Politischen und der Politik leitet ein Denken des Politischen ein, das sich nicht länger den externen Vorgaben einer theoretischen Vernunft fügt.

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Kritik als gegenhegemoniale Intervention / Critique as Counter-Hegemonic Intervention

Monday, July 5th, 2010

Chantal Mouffe: Kritik als gegenhegemoniale Intervention (transform 2006)

„[…] Mein Ziel hier wird sehr spezifisch sein: Ich werde mich auf das Feld der Gesellschaftskritik und, genauer noch, auf die Beziehung zwischen Gesellschaftskritik und radikaler Politik beschränken. Ich beabsichtige, eine der derzeit modischsten Ansichten von heutiger Gesellschaftskritik, die radikale Politik auf die Begriffe von Desertion und Exodus bringt, genauer zu untersuchen und sie dem hegemonietheoretischen Ansatz gegenüberzustellen, den ich in meiner Arbeit verfochten habe. Mein Ziel besteht darin, die Hauptunterschiede zwischen diesen Ansätzen, die man grob als „Kritik als Rückzug aus …“ und „Kritik als Eingriff in …“ unterscheiden könnte, in den Vordergrund zu rücken und zu zeigen, wie diese Ansätze aus konfligierenden theoretischen Rahmenbestimmungen und Verständnisweisen des Politischen herrühren. Ich werde argumentieren, dass das Problem mit der Form radikaler Politik, wie sie von postoperaistischen Denkern wie Antonio Negri und Paolo Virno vorgeschlagen wird, letztlich auf ihrem mangelhaften Verständnis des Politischen beruht, das die unauslöschliche Dimension des Antagonismus nicht berücksichtigt. […]“ [zum Artikel in transform 2006]

Critique as Counter-Hegemonic Intervention

„[…] My objective here will be very specific. I will limit myself to the field of social criticism and more precisely still to the relation between social criticism and radical politics. I intend to scrutinize one of the currently most fashionable views of social criticism today, which visualizes radical politics in terms of desertion and exodus and to contrast it with the hegemonic approach that I have been advocating in my work. My aim is to bring to the fore the main differences between those approaches, which one could roughly distinguish as ‘critique as withdrawal from’ and ‘critique as engagement with’ and to show how they stem from conflicting theoretical frameworks and understandings of the political. I will argue that ultimately the problem with the form of radical politics advocated by Post-Operaist thinkers like Negri and Virno is that they have a flawed understanding of the political because they do not acknowledge the ineradicable dimension of antagonism. […]” [read the original article on transform]